Grenze
Mey reinhardmir diesen fingerlangen Gewindestab
aus graubeschlagenem Chromnickelstahl.
"Dieser Bolzen hier", sagte er, "war einmal
die Verbindung an dem Zaun aus Streckmetall
der hinter der Grenze fast überall
als die letzte unnehmbare Hürde galt,
und den Bolzen, den löst du nicht mit Gewalt
und auch nicht mit Geduld und auch nicht mit List,
weil er einmal verschraubt nicht zu lösen ist.
Ich geb ihn dir, sieh ihn dir gut an,
es kleben Tränen und Blut daran."
Mit diesen Worten ließ er mich steh'n,
ungläubig begann ich daran zu dreh'n.
Und langsam wurd' es mir unheimlich,
die Muttern an den Händen drehten sich,
doch sie drehten ins Leere oder drehten mit,
das Gewinde fasste einfach keinen Tritt.
Ich zog, ich drückte, ich versucht' es nochmal,
dieser Bolzen war einfach teuflisch genial.
Ich begriff, diesen Stab mit den Rundkappen drauf
kriegt kein Schraubenschlüssel der Welt wieder auf.
Ich hielt ihn in der Hand zur Faus geballt,
und bei dem Gedanken überlief es mich kalt.
Wie manche Flucht dran gescheitert sein mag,
wo die Freiheit schon zum Greifen nahe lag.
Wo das Sperrgebiet schon überwunden war
und Signalzaun und Todesstreifen sogar.
Die Patrouille vorbei, sie war'n immer zu zweit
und die Wachen im Turm in der DUnkelheit,
die Maschinenpistolen in Anschlag gebracht
und ihre Ferngläser durchsuchen die Nacht.
Da blitzen Scheinwerfer auf, plötzlich alles taghell
und Rufe und Schüsse und Hundegebell.
Hinter Sperrgraben, Minen, Stacheldrahtverhau'n
im Lichtkegel gestrandet am letzten Zaun.
Und ich frage mich, unter welcher Stirn,
in welchem bösen kranken Hirn
wohl dies teuflische Patent entstand
und wer gab den Auftrag, das man er erfand?
Wer hat es gezeichnet und wer war der Schmied?
Und wer war in der Kette das letzte Glied?
Wer hat es geprüft, wer hat es geschraubt?
Hat er sich drum geschämt, hat er daran geglaubt?
War es Menschenverachtung ohne Hehl,
und wer hat still gehorcht, wer gab den Befehl?
Wie auch immer die Antwort sein mag, mir war klar,
dass es wieder ein Meister aus Deutschland war
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